Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Der
Kamelhändler
Hans-Joachim
Fuchtel, CDU-Abgeordneter aus Calw, darf nach 22 Jahren im Bundestag
der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär dienen.
Warum?
Von Christoph
Schwennicke Spiegel, 07.12.2009
Das Martinique in
Freudenstadt hat unverkennbar Zeiten erlebt, in denen es mit der
Gegenwart erfolgreicher Schritt halten konnte. Die DJs blenden gerade
von "Brick House" zu "Last Night a DJ Saved My Life"
über, als ein Mann im Raum auftaucht, der im Schummerlicht an jenen
Herrn erinnert, der Deutschland regierte zu Zeiten, als das
Martinique noch in Mode war.
An Helmut Kohl.
Es sei schön,
"solch einen großen Herrn in unserer Mitte zu haben", sagt
der Sportkreisvorsitzende auf der Bühne des Tanzpalastes, und der
massige Mann erwidert, er komme ja schon seit 20 Jahren zu dieser
Sportlerehrung, "da hoffe ich, dass Sie jetzt auch einen
Staatssekretär der Bundesregierung hier ertragen".
Staatssekretär der
Bundesregierung. Er macht eine Pause, damit sich der Beifall in ihr
ausbreiten kann.
Hans-Joachim
Fuchtel, 57, ist ganz oben angekommen. Seit vier Wochen darf er sich
Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium
nennen. Nach 22 Jahren in Bonn und Berlin und über 40 Jahren in der
CDU. 1968 trat er in die Junge Union ein, seit 1987 sitzt er
weitgehend unbemerkt für den Wahlkreis Calw im Bundestag.
Aufgefallen war er zuletzt dadurch, dass er sowohl bei der Wiederwahl
des Bundespräsidenten im Mai als auch bei der Wiederwahl der
Bundeskanzlerin im Oktober bei den Abstimmungen als Schriftführer
des Bundestagspräsidenten die Namenslisten des Plenums vorlas.
Nachname, Vorname. Nachname, Vorname. Fehlerfrei.
Wieso, fragt man
sich, wird einer, der im Bundestag die Namen vorliest, einer, der 22
Jahre im Bundestag nicht weiter aufgefallen ist, zum Ersatzminister,
darf Reden in Vertretung des Ministers halten und auf der
Kabinettsbank Platz nehmen, so wie am vorvergangenen Donnerstag, als
er in der ersten Reihe saß für seinen angeschlagenen Minister Franz
Josef Jung? Einer, der von sich selbst auf seiner Homepage bis vor
kurzem sagte, er sei "kein politischer Promi" sondern "ein
Abgeordneter mit einem großen Wahlkreis"?
Der Mensch Fuchtel
ist ein durch und durch durchschnittlicher Bundestagsabgeordneter aus
dem nördlichen Schwarzwald. Das Modell Fuchtel aber verrät einiges
über die Mechanismen der Politik in Berlin, darüber, wie die
kleinen Rädchen in die großen greifen. Es verrät auch viel über
das filigrane Belohnungs- und Ruhigstellungssystem, das jenes
Mischwesen des Parlamentarischen Staatssekretärs geschaffen hat.
Rein sachlich
betrachtet ist der Parlamentarische Staatssekretär das
überflüssigste Wesen des deutschen Politikbetriebs. Nichts würde
fehlen, gäbe es ihn nicht. Der "Parlamentarische" ist
Zierrat, eine Nippesfigur aus Fleisch und Blut. Und es ist wie mit
Nippes auf dem Büchersims: Wenn man nicht aufpasst, steht immer mehr
davon herum. Die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre hat sich
seit Ende der sechziger Jahre vervierfacht. 30 gönnt sich die
aktuelle Bundesregierung. Abschaffen will sie immer nur die
Opposition, aber nur, bis sie wieder regiert. Weil diese Posten
parteipolitisch verdammt nützlich sein können.
Der Fall Fuchtel
lehrt, dass man nicht unbedingt bei Anne Will in der Talkshow
glänzen, dass man nicht mal im Bundestag aufgefallen sein muss, um
aufzusteigen. Man muss aber wissen, wie Politik dort funktioniert, wo
sie nicht von Scheinwerfern ausgeleuchtet ist.
In der Politik ist
es wie im Pilzwald. Über dem Waldboden sieht man nur den Hut,
darunter liegt der eigentliche Pilz, verborgen als feines Gespinst im
Boden. Politik, das ist das ebenso feine Geflecht von Geld und
Beziehungen und der virtuose Umgang mit der Kombination aus beidem.
Fuchtel hat ein feines Gespür für den entscheidenden Schmierstoff
in der Politik entwickelt, Helmut Kohl redete von "Bimbes".
Viele Jahre saß
Fuchtel im Haushaltsausschuss, zuständig für Einzelplan 11, Arbeit
und Soziales, den mit weit über hundert Milliarden Euro mit Abstand
größten Einzeletat. In seinem Haushalt, da kenne er sich bis in die
hintersten Winkel aus, sagen sie im Ausschuss. Dieses Wissen ist
Macht. Und Fuchtel hatte das letzte Wort, wer sich da eine
"Tiefenkenntnis bis zum letzten Dienstwagen" erarbeitet
habe, wie er sagt, der kann eine Menge machen.
Es war
Unionsfraktionschef Volker Kauder, der nach der Wahl dafür sorgte,
dass Fuchtel Staatssekretär wurde. Die Baden-Württemberg-Connection,
eine mächtige Seilschaft in der CDU, funktionierte. Es heißt, dass
darüber hinaus Angela Merkel von Fuchtels extrem harter Kindheit in
schwierigen sozialen Verhältnissen wisse und beeindruckt sei, wie
sich Fuchtel durchgebissen habe.
Auf dem Weg zum
Flughafen in Berlin klingelt Fuchtels Handy. "Des war der
Teufel-Erwin", sagt er, als er auflegt. Beim Teufel-Erwin, dem
ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, hat Fuchtel
in den achtziger Jahren als Berater angefangen. Bei ihm hat er
Politik gelernt. Teufel hat er damals ein Postfrachtzentrum bei
Böblingen ausgeredet, weil dort die Mieten für die Beschäftigten
höher gewesen seien, das Land also am Ende mehr Wohngeld hätte
zahlen müssen. Das Postzentrum kam dann nach Eutingen, das erstens
mit billigeren Mieten aufwartete und zweitens zu Fuchtels Wahlkreis
gehört. Fuchtel ist das, was man im Süddeutschen einen
"Gschaftlhuber" nennt. Wie Kohl, der mit seinem
Telefonbüchlein die CDU und Deutschland regiert hat. Sollen die
anderen ruhig bei Anne Will sitzen.
Ob er Helmut Kohl
persönlich kenne? "Natürlich! Beschtens!" Für Kohl habe
er 1997 ein Kamelrennen im Berliner Hoppegarten organisiert, weil der
Kanzler mit den Arabern ins Geschäft kommen wollte. "2 Stunden
17 auf CNN, 42 000 Besucher im Hoppegarten - nachmachen!", sagt
Fuchtel.
Wer ihn etwa als
"Petersilie" belächelt, das ist im Bundestag der
spöttische Begriff für die Schriftführer des
Bundestagspräsidenten, der hat nichts verstanden. Von da oben, sagt
Fuchtel, "von da oben sehen Sie alles!" Und das sei auch
wichtig in der Politik: "zu sehen, wo es menschelt, wer wieder
mit wem mauschelt".
Mangelnder Respekt
vor der eigenen Leistung ist nicht sein Problem. Zum Treffen in
seinem neuen Amtszimmer im Ministerium hat er ein großes Flipchart
vorbereitet, in dem er in Grün und Rot und Blau und Schwarz die
Arbeitsbereiche des Hans-Joachim Fuchtel aufgezeichnet hat:
Abgeordneter, Präsident der Bundesvereinigung des Technischen
Hilfswerks, Gründer einer dazugehörigen Stiftung mit einem
Stiftungskapital von zwei Millionen Euro - "nachmachen!",
sagt er triumphierend. In den Neunzigern als Rechtsanwalt angefangen,
inzwischen in der "Bundesliga der deutschen Anwälte im
Familienrecht - nachmachen!"
Fuchtel ist ein
Sonnenkönig in einem Sonnensystem, das er selbst definiert und zu
dessen Mittelpunkt er sich macht. Da, wo er ist, ist wichtig, der
Rest wird einfach ausgeblendet. Die Sache mit den Kamelen zum
Beispiel fing damit an, dass ein Landwirt in seinem Wahlkreis auf die
Idee verfiel, Kamelfarmer im Schwarzwald zu werden. Jetzt ist das
Kamel aus der Politik des Hans-Joachim Fuchtel praktisch nicht mehr
wegzudenken. Kohl und das Kamelrennen, die Connections nach Abu
Dhabi. Als Kamele des Kamelfarmers einmal krank wurden, konnte
Fuchtel für den Mann ein Kameldoktor-Praktikum bei seinen arabischen
Freunden bewirken.
Fuchtel, der
<<Kamelhändler. Das ist gar kein schlechtes Bild für einen,
von dem sie im Haushaltsausschuss sagen, dass man mit ihm immer gut
auskommen konnte, solange sein THW nicht zu kurz kam.
Die Hohenberghalle
in Horb am Neckar ist eine typische Mehrzweckhalle: eher praktisch
als schön. An diesem Abend soll der neue Oberbürgermeister
offiziell ins Amt eingeführt werden, der Saal ist voll, der
Trollinger umsonst. Für Hans-Joachim Fuchtel ist ein Platz in der
ersten Reihe vorgesehen, allerdings nur als Nummer zwei, neben
Michael Theurer, dem bisherigen Oberbürgermeister von der FDP.
Fuchtel ändert einfach die Sitzordnung und setzt sich auf Theurers
Platz. Die beiden sind ein spezielles Pärchen. Der FDP-Mann hatte
die Oberbürgermeisterwahl 1995 in Horb nicht zuletzt mit dem
Versprechen einer Hochbrücke für die Stadt im Talkessel gewonnen.
Fuchtel traf sich alsbald mit dem Neuen zu einem Gespräch, das er
laut Theurer als "Non-Gespräch" deklarierte.
"Non-Gespräch",
sagt Theurer noch heute kopfschüttelnd, "ich wusste damals gar
nicht, was das ist: ein Non-Gespräch." Jedenfalls habe ihn
Fuchtel in diesem Gespräch ermuntert, aus der FDP aus- und in die
CDU einzutreten. Das sei doch jetzt an der Zeit. Als Theurer das
ablehnte, wurde es etwas frostiger: "Dann werden wir Ihnen des
Wasser abdrehen."
Fuchtel bestreitet
den Hergang, das erzähle Theurer seit Jahren. Aber egal, wie
ultimativ Fuchtel da aufgetreten ist, die Begebenheit beschreibt das
Prinzip, das einem einfachen Mann ein großes Büro in einem
Bundesministerium beschert hat: Beziehungen aufbauen, Abhängigkeiten
schaffen, Wohlverhalten belohnen, Widerstand bestrafen. Auf die
Hochbrücke wartet Horb bis heute.
Später am Abend
beglückwünscht ihn der neue Oberbürgermeister von der Bühne zu
seinem Amt, eine schöne Sache, schon, aber "Staatssekretär im
Verkehrsministerium wäre besser für uns". Dort wird nämlich
auch über Hochbrücken von Bundesstraßen entschieden. Fuchtel sagt
von sich, er habe jetzt ganz andere Möglichkeiten, "sich
nützlich" zu machen. "Wer macht das nicht?"
Seine bisherigen
Kollegen im Haushaltsausschuss haben gar keine Bedenken, dass Fuchtel
sich weiter nützlich machen wird. Sie sorgen sich eher, ob er die
repräsentativen Anforderungen seines neuen Amts erfüllen kann. Beim
traditionellen Essen der Haushälter im Schloss Bellevue, so erinnern
sie sich lebhaft, da fand der füllige Fuchtel die Portionen wohl
etwas vornehm-kärglich. Ob das ein Witz sein solle, fragte er brüsk
nach Nachschlag. Nicht das Bedienungspersonal, sondern gleich den
Bundespräsidenten.
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